Unabhängig von der Branche, der Größe und ihrer geografischen Lage – die meisten Unternehmen spüren schon heute den Fachkräftemangel. Laut dem Institut für Wirtschaft Köln konnten über eine halbe Millionen Stellen nicht besetzt werden, da es keine passend qualifizierten Arbeitslosen gab. Bis 2030 soll die Zahl, je nach Quelle, auf bis zu fünf Millionen steigen. Eine Verbesserung der Lage ist nicht in Sicht. Ganz im Gegenteil. Bis 2030 soll die Zahl, je nach Quelle, auf bis zu fünf Millionen steigen. Die Folge: Aus dem Arbeitgebermarkt ist ein Arbeitnehmermarkt geworden. Nicht die Arbeitgeber entscheiden sich für einen Arbeitnehmer. Vielmehr entscheiden die Arbeitnehmer, für welches Unternehmen sie tätig werden wollen und die jetzige und noch viel mehr die zukünftige Generation der Arbeitnehmenden fordert von ihrem Arbeitgebenden Unterstützung bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Kitaplatz wichtiger als Firmenwagen

Mit der Generation Z, die auch als „Digital Natives“ bezeichnet wird, drängt jetzt eine Generation auf den Arbeitsmarkt, die ähnlich wie die ihr vorangehende Generation Y (Why?) als besonders kritisch fragende Generation gilt. Auch sie fordert selbstbestimmtes und sinnhaftes Arbeiten auf Augenhöhe. Diese Gruppe der ab Anfang der 1990er Jahre Geborenen wissen, dass sie sich ihren Arbeitgeber aussuchen können und stellen ihre Forderungen. Neben flexiblen Formen der Zusammenarbeit, ist ihnen ihre Work-Life Balance extrem wichtig. Eng damit verbunden, der Wunsch nach Familienbewusstsein. Viele ziehen einen garantierten Kitaplatz dem Firmenwagen vor.

Wie ernst es heutige und zukünftige Erwerbstätige mit ihren Forderungen nach mehr Familienbewusstsein meinen, zeigen die Zahlen: Laut der Zweiten Trendstudie  „Zukunft Vereinbarkeit“, die 2021 im Auftrag der conpadres gGmbH durchgeführt wurde, würde die Mehrheit (59 Prozent) der befragten zukünftigen Väter und Mütter den Arbeitgeber (eher) wechseln, wenn dieser keine Maßnahmen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf anbietet. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt die Jobstudie (2021) des Beratungsunternehmen Ernst & Young. 47 Prozent der Befragten würden laut dieser auf Teile des Gehalts verzichten, wenn sie im Gegenzug mehr Freizeit bekommen würden.  Ein Trend, der sich auch in der 2022 veröffentlichen prognos Studie „Wie väterfreundlich ist die deutsche Wirtschaft?“ wiederfindet: „Rund 450.000 Väter in Deutschland haben schon einmal den Arbeitgeber zugunsten einer besseren Vereinbarkeit gewechselt. Und mehr als 1,7 Millionen Väter denken darüber häufig oder zumindest manchmal nach.“

Gewandelte Rollenbilder

Ein Grund für die wachsende Bedeutung des Themas Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist unter anderem auch das sich grundlegend verändernde Rollenverständnis bei Frauen und Männern. Die meisten Frauen sind heute nicht nur besser ausgebildet als die vorangehende Müttergeneration, sie legen darüber hinaus auch größeren Wert auf Selbstständigkeit und Unabhängigkeit. Sie wollen kein „entweder/oder“, sondern ein „und“, wenn es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht. Heutige Mütter und Väter streben eine Partnerschaft auf Augenhöhe an, in der sich beide gleichberechtigt um die Familie und die eigene Karriere kümmern können. Karriereschritte und Familienzeiten handeln sie gemeinsam aus. Viele Mütter, die länger als ein halbes Jahr in Elternzeit waren, wären gerne früher wieder in den Beruf eingestiegen. Mütter, die in Teilzeit arbeiten, würden gerne mehr Stunden einer Erwerbstätigkeit nachgehen.

Gleichzeitig möchten sich die jungen Väter stärker an der Erziehung ihrer Kinder beteiligen, als dies noch zu Zeiten ihrer Väter der Fall war. Dieser Wandel zeigte sich bereits in der ersten großen Väterstudie in den 1990er Jahren. Zwei Drittel der Väter sahen sich schon damals mehr als Erzieher denn als Ernährer. Seit der Einführung der Partnermonate steigt die Zahl der Väter in Elternzeit kontinuierlich. Laut der aktuellen Elterngeldstatistik bezogen 26,1 Prozent (2021 25,3 Prozent) der Väter Elterngeld. Ein Anstieg von 23 Prozent im Vergleich zu 2007, als das Elterngeld eingeführt wurde. Schon lange kann man nicht mehr von einem „Mitnahmeeffekt“ sprechen. Vielmehr ist bei den jungen Vätern ein Wertwandel hin zu mehr Familie zu beobachten. Die Väter von heute wollen nicht mehr nur der Ernährer sein. Die Väter von heute wollen aktiv an der Erziehung ihres Nachwuches teilnehmen. Von Anfang an.

Laut den Ergebnissen der zweiten Trendstudie der conpadres gGmbH wird der Prozentsatz derjenigen Väter, die mehr als zwei Monate Elternzeit in Anspruch nehmen, zukünftig massiv steigen. 96 Prozent der befragten jungen Männer, die planen, in den nächsten Jahren Vater zu werden, wollen Elternzeit in Anspruch nehmen. Knapp die Hälfte (48 Prozent) der Väter will sich die Elternzeit paritätisch mit ihren Partnerinnen aufteilen. Lediglich 13 Prozent sind noch der Meinung, dass zwei Monate Elternzeit für Väter ausreichen.

Vereinbarkeit auch für pflegende Angehörige wichtig

Vereinbarkeit ist aber mehr als Vater, Mutter, Kind. Aktuell gibt es laut Destatis in Deutschland 5,0 Mio Pflegebedürftige, die zuhause von Angehörigen gepflegt werden. Etwa 2,5 Mio Menschen davon leisten neben ihrer Erwerbsarbeit noch zusätzlich Sorgearbeit für ihre Angehörigen, so das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Auch hier: Tendenz steigend. Sowohl bei den Pflegebedürftigen als auch bei den Erwerbstätigen, die Beruf und Pflege vereinbaren. Viele der pflegenden Angehörigen leiden nicht nur unter der Doppelbelastung, sondern müssen auch finanziell kürzertreten, ihre Karriere-Wünsche zurückstellen oder gar ganz aus ihrem Beruf aussteigen. Für Unternehmen bedeutet diese Reduktion der Arbeitszeit oder gar eine Kündigung der pflegenden Mitarbeiter den Verlust zumeist qualifizierter Fachkräfte. Das, obwohl nicht nur die pflegenden Angehörigen, sondern auch die Unternehmen von einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Pflege profitieren würden. Unternehmen bleiben erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhalten, sie sparen die zum Teil sehr hohen Personalbeschaffungskosten und die Kosten für die Einarbeitung neuer Mitarbeiter. Die betrieblichen Folgekosten als Resultat schlechter oder fehlender Vereinbarkeit von Beruf und Pflege belaufen sich nach Schneider et al. pro Jahr auf insgesamt 8,06 Milliarden Euro.

Eine Umfrage des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) aus dem Jahr 2019 hat ergeben, dass fast 90 Prozent der pflegenden Angehörigen in Deutschland der Meinung sind, dass eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Pflege notwendig ist. Viele Angehörige haben das Gefühl, dass sie von ihren Arbeitgebern nicht ausreichend unterstützt werden, wenn es um die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf geht.

Inzwischen gibt es in Deutschland jedoch auch gesetzliche Regelungen wie das Familienpflegezeitgesetz oder das Pflegezeitgesetz, die pflegenden Angehörigen die Möglichkeit geben, ihre Arbeitszeit zu reduzieren oder eine zeitlich begrenzte Freistellung zu beantragen. Dennoch gibt es noch viel Handlungsbedarf, um eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf für pflegende Angehörige zu erreichen.

Vereinbarkeit in der Gesellschaft angekommen

Der Wunsch nach mehr Unterstützung für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist über alle Mitarbeitendengruppen hinweg ausgeprägt, wie unter anderem der „Unternehmensmonitor Familienfreundlichkeit 2019“ zeigt: Demnach halten 78 Prozent der Beschäftigten ohne kleine Kinder und ohne zu pflegende Angehörige familienfreundliche Angebote für wichtig. Den Angestellten sind familienbewusste Maßnahmen wichtig, da sie Ausdruck einer Unternehmenskultur sind, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Ausdruck einer Kultur, die auf einer familien- und lebensphasenorientierten Personalpolitik beruht und allen zugute kommt: Beschäftigten mit kleineren Kindern, Beschäftigten mit pflegebedürftigen Angehörigen, aber auch Beschäftigten ohne Betreuungspflicht. Denn auch diese können von dem Angebot familienbewusster Maßnahmen profitieren, um beispielsweise ihre Erwerbstätigkeit mit Freizeit und/oder Ehrenamt zu vereinbaren. Dass Personalverantwortliche diese Zielgruppe noch unterschätzen, zeigt sich darin, dass lediglich 57 Prozent familienbewusste Maßnahmen für diese Zielgruppe als wichtig erachten.

Über Nicole Beste-Fopma 

Durch ihr vielseitiges Engagement – als Journalistin, Autorin, Herausgeberin, Moderatorin und Vortragsrednerin – will Nicole Beste-Fopma dazu beitragen, dass sich in Unternehmen und in der Gesellschaft bestehende Denk- und Verhaltensmuster verändern und sich das Rollenverständnis von Frau und Mann, von Mutter und Vater wandelt – erste Tendenzen sind erkennbar. Sie macht sich stark für neue Lebensmodelle für berufstätige Eltern, die im Alltag und im Beruf umsetzbar sind.

Sie selbst ist Mutter von vier erwachsenen Söhnen und startete ihren Berufs- und Karriereweg seinerzeit alleinerziehend mit Kind: „Noch im Studium bin ich Mutter geworden – ich kenne also kein anderes Leben als das der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.“ Nicht nur beruflich kennt Nicole Beste-Fopma diverse Facetten der Vereinbarkeit, sondern auch privat: Im Jahr 2014 erkrankte die mittlerweile verheiratete und vierfache Mutter an Brustkrebs und lernte so nochmals eine ganz neue Dimension der Vereinbarkeit kennen: Die der Vereinbarkeit von Krankheit und Beruf.

Geheilt und mit ungebrochenem Optimismus hat sich 2018 ihr „Traumprojekt“ erfüllt: Ihr erstes Buch „Beruf + Familie. Passt!“ erscheint im Campus-Verlag. Aktuell arbeitet Nicole Beste-Fopma an ihrem zweiten Buch.