Elternschaft ist eine der anspruchsvollsten Aufgaben, die ein Mensch in seinem Leben übernehmen kann. Es erfordert Geduld, Organisationstalent, Kommunikationsfähigkeiten und vieles mehr. Die Skills, die Eltern entwickeln, um ihre Kinder zu erziehen und die Familie zu führen, können jedoch auch in der Arbeitswelt von unschätzbarem Wert sein. Hierzu haben Greenhaus und Powell (2006) das Konzept Work-Family Enrichment entwickelt. Es beschreibt die Wechselbeziehung zwischen Arbeit und Familie, als den „positiven Einfluss, den eine Rolle auf eine andere Rolle hat. Eine positive Erfahrung in der einen Rolle kann dazu beitragen, dass eine Person in der anderen Rolle besser abschneidet.

Work-Family Enrichment kann in beide Richtungen funktionieren: Wenn Arbeitnehmende positive Erfahrungen in ihrer Familie machen, können sie besser auf der Arbeit abschneiden und umgekehrt. In diesem Artikel werden wir untersuchen wie elterliche Skills ein Asset für Unternehmen sind. Zudem stellen wir Strategien dar, wie diese elterlichen Vermögenswerte im Unternehmen wirksam werden können.

Das Kompetenzcenter Familie

Elterliche Skills entwickeln sich aus der Bewältigung der Führungsaufgaben einer Familie. Beispiele hierfür sind etwa Ermutigung, für positive Beziehung sorgen, Vereinbarungen treffen, konsequent sein oder das Selbstmanagement der Eltern. Bezüglich der Führung von Mitarbeitenden ist die Literatur voll von Vorschlägen für den richtigen Führungsstil. Doch am Ende des Tages bemisst sich die Qualität einer Führungskraft letztlich ebenso daran, wie sie Ihre Aufgaben in der Unternehmensführung, Bereichs-/Teamführung bewältigt. Lobenswert ist, wenn sich Eltern oder Führungskräfte auf eine künftige Aufgabe vorbereiten, etwa durch Weiterbildung. Doch effektiv werden die benötigten Fähigkeiten in der Auseinandersetzung mit der realen Anforderung gebildet: das Beeinflussen von Menschen in ihrem Verhalten und Erleben, um ein Ziel zu erreichen. Vielleicht überrascht es Sie, selbst die Aufgabenfelder von Eltern und Führungskräften gleichen sich:

  • Differenz – Wozu sind wir da? Wozu gibt es dieses Unternehmen, dieses Team und mich als Teammitglied?
  • Ressourcen – Was benötigen wir? Wer legt das fest? Beschaffung. Verteilung. Struktur – Wer macht was? Zuordnung der Verantwortung.
  • Prozess – Wann machen wir die richtigen Dinge? Standards vs. Flexibilität.
  • Reflexion – Wie werden wir stetig besser? Fehlerkultur
  • Entwicklung – Wohin entwickeln wir uns?

Kurzum: Eltern als auch Mitarbeitende/Führungskräfte benötigen in vielen Teilen ein gleiches Set von Skills für die Bewältigung der sechs Aufgaben. Studien des Instituts der deutschen Wirtschaft und des World Economic Forums illustrieren dies. Sie befragten HR-Verantwortliche: Welche Skills benötigen Unternehmen im Zeichen der Digitalisierung, demographischen Entwicklung und Dekarbonisierung? Das Ergebnis: Den dringlichsten Qualifikationsbedarf sahen die HR-Verantwortlichen der IW-Studie (2017) in den Skills:

  • Kooperationsfähigkeit
  • Organisationsfähigkeit
  • Kommunikationsfähigkeit
  • Selbständigkeit

Bis zu 50 Prozent betrug der Abstand zu anderen Qualifikationsbedarfen wie etwa IT-Wissen oder betriebliches/ berufliches Erfahrungswissen. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt das World Economic Forum in seinen Future Job-Reports aus den Jahren 2018 und 2020: Für die Arbeit 4.0 besteht eine erhöhte Nachfrage der Qualifikationen:

  • Kooperation, Serviceorientierung
  • Aktives Lernen und Lernstrategien
  • Selbststeuerung, Resilenz & Flexibilität
  • Kreativität. Originalität und Initiative
  • Kritisches & analytisches Denken und komplexe Problerlosung/Innovation
  • Überzeugungskraft und Verhandlungsführung

Wie denken Sie hierzu? Sind die oben aufgeführten Skills Elternkompetenzen?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel von einem Vater von zwei Töchtern, Geschäftsführer in einem Technologie-Unternehmen. In einem Interview zum Buch „Gute Eltern sind bessere Mitarbeitende“ sagte er: „Das Schwierige ist, dass es gegen meine Natur ist, weil ich ja eher der Bestimmer bin, der sagen will, „So wird es gemacht!“ Es gibt für mich keinen schwierigeren Kunden oder Lieferanten als meine eigenen Töchter. Alles, was ich gelernt habe, wie ich mit schwierigen Partnern umgehe, habe ich durch meine Töchter gelernt. Die haben es mir beigebracht“ (Lask & Kriechbaum, 2017).

Spätestens jetzt sollte sich entschiedener Widerstand zu meinen hier dargestellten Zeilen aufbauen: Aber Führungskräfte sind keine Eltern und Mitarbeitende sind keine Kinder – das lässt sich nicht auf eine Ebene bringen! In der Tat, das stimmt. Auch wenn Familie und Unternehmen soziale Organisationen sind, ticken sie fundamental verschieden. Gehöre ich zu einer Familie, ist Kündigung keine Option – im Unternehmen ist das anders. Gerechtigkeit wird im Unternehmen durch den Unterschied erzeugt, etwa der Entlohnung, die sich nach dem Grad der übernommenen Verantwortung richtet. In der Familie wird Gerechtigkeit eher durch Gleichheit empfunden, etwa bei Essensportionen oder beim Erbe. In der Familie besteht also eher eine Beziehungs-/Bindungslogik. Hingegen im Unternehmen eher eine Leistungs-/Funktionslogik. Die Skills jedoch, die im Unternehmen gelernt werden – beispielsweise in einem Kommunikationsseminar oder zum kontinuierlichen Verbesserungsprozess – können durchaus auch in der Familie genutzt werden. Und das gilt auch für elterliche Skills, die in Führung und Mitarbeit hineinwirken können.

Elterliche Skills im Unternehmen

In einer eigenen Untersuchung zusammen mit der Goethe-Universität Frankfurt (Lask & Junker, 2019a) konnten wir zeigen, dass die meisten Eltern der Studie überzeugt sind, mit den familiären Herausforderungen Skills (weiter-) zu entwickeln (81 Prozent) und 74 Prozent sind der festen Überzeugung damit auch eine bessere Führungskraft bzw. eine bessere Mitarbeiterin / ein besserer Mitarbeiter zu sein. Wir haben diese Eltern gefragt welche Skills dies betrifft. Hier die jeweils vier häufigsten Nennungen je Skill-Bereich:

Beziehungsorientierte Skills
  1. Konfliktfähigkeit – Konsensfähigkeit
  2. Wertschätzung geben, konkret Loben
  3. Perspektivwechsel, Mitgefühl, Empathie
  4. Adressatengerechte & klare Kommunikation
Aufgabenorientierte Skills
  1. Organisationsfähigkeit, Logistik
  2. Verhandeln
  3. Krisenmanagement, Risikosituationen erkennen und vorbereiten
  4. Varausschauendes Denken
Skills zur Selbststeuerung
  1. Stressmanagement – Stressimmunität
  2. Geduld – Gelassenheit
  3. Dinge annehmen / hinnehmen können; akzeptieren
  4. Frustrationstoleranz, Emotionsregulation

Soweit – so gut!

Der Knackpunkt ist nun: Kommen diese Vermögenswerte aus der Familie am Arbeitsplatz an? Erhalten diese elterlichen Skills eine Chance zum Asset in Führung und Mitarbeit, etwa für Kundenorientierung und Produktivität? Nun, unsere Ergebnisse zeichnen ein nüchternes Bild. Lediglich 15 von 100 befragten Eltern kommen mit der Führungskraft zu ihren Skills ins Gespräch. Das ist für das Unternehmen ein immenser Verlust an Skill-Potential!

In Vorträgen wird mir an dieser Stelle regelmäßig entgegnet, dass nicht alle Eltern diese Skills entwickeln. Das stimmt natürlich und trifft ebenso für Führungs-kräfte zu. Wie schon oben beschrieben: Ziel ist es, die Führungsaufgaben zu bewältigen und nicht Skills zu haben. Der Respekt und die Verantwortung vor den Aufgaben in der Familie und in einem Unternehmen bieten Eltern wie Führungskräften die Chance täglich innezuhalten und sich zu fragen:

Was war gut? Worin will ich morgen besser sein?

Wer zu dieser Reflexion und zum Lernen bereit ist, hat die besten Vorraussetzungen passende Skills erfahrungsbasiert zu entwickeln. Wissenschaftlich ist längst belegt (vgl. Cerasoli et al., 2018), dass 70-90 Prozent der beruflichen Skills via Learning by Doing erfolgen – also nicht in betrieblichen Weiterbildungen, Aus-bildungen, Universität oder Schule. Familie ist ein exzellenter informeller Lernort für Skills, die effektiv und nachhaltig zur Bewältigung der VUCA-Heraus-forderungen dieser Welt dienen.

Wie kommt es zu diesem Missmatch elterlicher Skills im Unternehmen?

Beginnen wir mit einigen Fragen an Sie selbst: Wie war Ihre Meinung zu elterlichen Skills bis zum Lesen dieses Beitrags? Haben Sie eine Erwartung, mit ihren privat entwickelten Skills im Job erfolgreich zu sein? Sehen Sie sich in der Lage, solche Skills zu benennen und eine stichhaltige Begründung zu geben, warum diese aktuell im Job einen Vorteil generieren?

Unsere eigenen Studien bestätigen, dass eine Sensibilisierung zu elterlichen Skills als Asset sowohl bei Eltern, als auch bei Führungskräften oft nicht aus-gebildet ist. Eltern fällt es zwar leicht anzugeben, dass sie entsprechende Skills entwickelt haben, können diese jedoch nicht konkret benennen oder be-gründen. Der Grund hierfür ist, dass das informelle Lernen eher nebenbei bis unbewusst erfolgt. Es wird kaum Eltern geben, die angeben, dass sie die Skills Emotions-regulation, Selbststeuerung oder Serviceorientierung (weiter-)entwickelt haben. Der Grund hierfür: Das Learning by Doing hat das Ergebnis – also den Erfolg im Blick (das Kind wird ruhig, … findet mit dem Löffel seinen Mund, … kommt wie vereinbart um 22:00 Uhr nach Hause etc.). Das wie – also das Skill – steht nicht im Fokus. Ebenso fehlt den Führungskräften oft die Idee, dass Mitarbeitende in ihrem Privatleben ggf. Skills entwickeln, die der Produktivität und der Kunden-orientierung dienlich sein können.

„Alles, was ich gelernt habe, wie ich mit schwierigen Partnern umgehe, habe ich durch meine Töchter gelernt. Wie denken Sie hierzu? Wohin entwickeln wir uns?“

Und es gibt noch ein gravierenderes Missverständnis, das wir in unserer Studie „Elternkompetenz & Arbeit“ aufzeigen konnten (Lask & Junker, 2020). Der Grad der Familienfreundlichkeit von Unternehmen, der sich auf das Management von Familie & Beruf bezieht, hat keine Auswirkung auf den Transfer von elterlichen Skills in das Unternemen. Thematisiert jedoch das Unternehmen, bzw. die Führungskraft, das Learning by Doing positiv, öffnen sich schlagartig die Tore für einen Transfer elterlicher Skills. Dies ist ziemlich einfach und wenn Sie wollen ab sofort umsetzbar:

„Was hast du in den letzten Monaten ggf. auch privat erlebt? Was konnte davon für die Bewältigung unserer Aufgaben von Bedeutung sein?“

Mit diesen zwei einfachen Fragen setze ich in Mitarbeitergesprächen einen Meilenstein für den Transfer von informell gelernten Skills. Konkret für Mitarbeitende, die am Wiedereinstig aus der Elternzeit stehen, bedeutet dies: Als Führungskraft interessiere ich mich für die Entwicklung des Mitarbeitenden in den letzten Monaten. Etwa:

„Wie hast Du deine Elternzeit erlebt? Wie hat sie Dich verändert? Was bedeutet das für uns hier?“

Damit beginnt die Führungskraft ein neues Mindset: „Bei uns kannst du Familie und Karriere gründen! Familie ist ein Kompetenzcenter! Wir haben ein Interesse an einer nachhaltigen Karriere von Dir, in der Du mit deiner privaten und beruflichen Rolle zufrieden bist und gesund bleibst. Wir haben davon auch einen Gewinn!“, statt „Familie ist ein Problemfall! Eigentlich wäre es für das Unternehmen besser, du hättest kein Kind bekommen!“ Dieses neue Mindset ist besonders für Mütter wichtig, die nach unseren Untersuchungen (Lask & Junker, 2019b) signifikant weniger Vorteile aus ihren elterlichen Skills ziehen, als dies Vätern gelingt.

Strategien für ein Work-Family Enrichment

Die Konzepte zum informellen Lernen (Erpenbeck et al., 2017) und dem Work-Family Enrichment gelten als wissenschaftlich bestätigt (vgl. Zhang et al., 2019). Aus diesen lassen sich Strategien ableiten, die ebenfalls beforscht wurden und einige nun dargestellt werden.

  • Ein entscheidender Punkt, elterliche Skills in Mitarbeit und Führung zu nutzen, ist das Sichtbarmachen dieser Skills. Das klingt einfach – und ist es auch. Für Eltern genügt es, sich zu fragen, „Was mach ich da eigentlich?“. Es ist ein Reflexionstraining der elterlichen Handlungen. Hierzu haben wir im WorkFamily-Institut Instrumente entwickelt wie Fragebögen, eine Skill-App, einen Online-Workshop, ein Development-Center, immer mit dem Ziel, elterliche Skills sichtbar zu machen und sie einzuschätzen.
  • Die Elternzeit ist eine hervorragende Gelegenheit für das Unternehmen, elterliche Skills zu adressieren und damit auch die nachhaltige Karriereentwicklung der Eltern. Das Unternehmen kann die vielen meist tiefgreifenden Fragen, die vor der Geburt eines (ersten) Kindes bestehen ernstnehmen und die Eltern beim On-Boarding in die Elternzeit unterstützen. Ebenso hat das Unternehmen ein berechtigtes Interesse, das On-Boarding in den Betrieb, also die Wiedereingliederung nach der Elternzeit, strukturiert zu begleiten. Diese Unterstützung kann durch Checklisten, einstündige Online-Workshops oder externe Coachings bereitgestellt werden.
  • Wann sind Eltern bereit ihre Vermögenswerte – hier die elterlichen Skills – am Arbeitsplatz wirksam werden zu lassen? Stellen Sie sich bitte vor, Sie haben eine Expertise im Skill „Anleiten“ erworben, weil Sie dies im Verein oder in der Familie bereits x-mal erfolgreich trainiert haben und darin richtig professionell sind. Was sind nun die Stellschrauben für Ihre Bereitschaft, Ihr Skill nun auch dem Unternehmen zur Verfügung zu stellen? Das Konzept zum Work-Family Enrichment macht hierzu konkrete Angaben. Zunächst einmal brauchen Sie die Information, dass Ihr Skill aktuell benötigt wird. Dann müsste Ihnen die Bereitstellung Ihrer Expertise etwas bedeuten – also eine positive Antwort auf die Frage „Was bringt mir das?“. Schließlich müssten Sie sich sicher sein, dass Ihre informell erworbene Expertise im Unternehmen akzeptiert/anerkannt wird.

Auch wenn die dargestellten Strategien fast als simpel erscheinen – so ist zumindest unsere Erfahrung – kann es Jahre dauern, bis sich im Unternehmen eine Kultur entwickelt hat, in der der Transfer elterlicher Skills an den Arbeitsplatz als Normalität erlebt wird. Daher ist ein weiterer zentraler Hebel für solch eine
Normalität eine „Familienfreundliche Führung“. Es ist ein konzentriertes Training für Führungskräfte in drei Einheiten á einer Zeitstunde. Im Grunde geht es um die Sensibilität der Führungskraft in Sprache und Verhalten gegenüber Eltern und das faire Verhandeln von Lösungen.

Die Konsequenz

Gelingt es Ihnen als Unternehmen und Führungskraft elterliche Skills (und gerne auch generell informell erworbene Kompetenzen) sichtbar zu machen, einen Prozess der Anerkennung dieser Skills zu beschreiben und wertzuschätzen, dann dürfen Sie positive Konsequenzen erwarten. Diese sind: Mehr Qualität/ Expertise, eine höhere Produktivität, eine stabilere Mitarbeiterbindung und eine höhere Arbeitgeberattraktivität.

Habe ich Ihr Interesse für elterliche Skills mit diesem Beitrag wecken können? Wenn „ja“, dann finden Sie auf der Website des WorkFamily-Instituts unsere weiterführende Forschungsberichte hierzu. Sind Sie an Umsetzungen in Ihrem Unternehmen interessiert, dann finden Sie Angebote auf der Website unserer
Akademie für angewandte Wirtschafts- & Familienpsychologie.

Über den Autor:

Joachim E. Lask, 62, ist Vater von 7 Kindern, Wirtschafts- & Familienpsychologe, Leiter des WorkFamily-Instituts und tätig in seiner Freien Psychologischen Praxis. Er ist Autor mehrerer Bücher, bspw. von „Gute Eltern sind bessere Mitarbeiter“, „Elterliche Skills in Organisationen“ und forscht u.a. mit der Goethe-Universität Frankfurt und der FOM Hochschule zum Work-Family-Enrichment-Ansatz.

„Ich helfe Unternehmen und Eltern, den Bildungsort Familie für den Job zu nutzen. Das führt zur mehr Produktivität und Lebensqualität. Wir schauen genau hin, wie elterliche Skills von Vätern und Müttern besser erkannt und im Unternehmen genutzt werden können. Hierzu trainieren wir Führungskräfte, informell gelernte Skills ihrer Mitarbeitenden, gezielt für den Arbeitsauftrag einzusetzen“.

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